Der Flughafen Zürich baut eine neue Gepäcksortieranlage und erweitert den Frühgepäckspeicher. Die Knacknuss des 470 Millionen Franken teuren Projekts: Es muss bei laufenden Betrieb gebaut werden. Das heisst, die Bauarbeiten dürfen den Betrieb der bestehenden Anlage und diverser weiterer Installationen nicht beeinträchtigen.
Text: Ben Kron
Erschienen im Baublatt 01/2020
Wer in die Ferien fliegt, kennt die Prozedur: Beim Einchecken wuchtet man sein Gepäckstück aufs Förderband und hofft innig, dass es das Maximalgewicht nicht überschreitet. Dann bekommt der Koffer eine Banderole mit Strichcode, worauf der Bestimmungsort vermerkt ist, und verschwindet im Untergrund des Flughafens. Erst am Reiseziel sieht der Fluggast sein Gepäckstück wieder.
Während der Reisende sich nach dem Einchecken durch die Sicherheitskontrolle begibt, macht sich im Untergrund auch sein Koffer auf eine lange Reise: Über ein System von Förderbändern wird das Gepäckstück innert kurzer Zeit zum richtigen Flieger gebracht. Es ist eine logistische Meisterleistung, die der Fluggast zwar als selbstverständlich erachtet, wofür hinter den Kulissen aber eine ausgeklügelte und komplexe Logistik nötig ist.
31 Millionen Gepäckstücke
Die Gepäcksortieranlage (GSA) des Flughafens Zürich, die 2001 in Betrieb genommen wurde, ist in die Jahre gekommen und stark belastet: Bei Inbetriebnahme nutzten den Flughafen rund 21 Millionen Passagiere pro Jahr; inzwischen sind es mehr als 31 Millionen. Zudem verschärft die EU den Standard für die Sicherheitskontrolle der einzelnen Gepäckstücke. Für die neue GSA und alle übrigen Anpassungen am flughafenweiten Gepäcksystem investiert die Flughafen Zürich AG insgesamt rund 470 Millionen Franken.
Die Erweiterung der GSA ist in einem Sockelbau mit einem sowie in Teilbereichen mit zwei Untergeschossen untergebracht, worauf dereinst weitere Gebäude errichtet werden können. Daneben entsteht auf dem vorhandenen Gebäude ein zweigeschossiger Frühgepäckspeicher. Hier lagen die zum Beispiel am Vorabend eingecheckten Koffer, Taschen und Kisten.
Besonders knifflig am Projekt: Die bestehende Anlage muss während den Bauarbeiten weiterlaufen und darf nicht beeinträchtigt werden, damit der Flugbetrieb behindert wird. Erst wenn die neue GSA fertiggestellt ist, kann sie mit der alten verbunden werden. Danach wird die alte Anlage umgebaut.
Für die neue GSA musste zuerst eine tiefe Baugrube erstellt werden. Dies im Umfeld der bestehenden Anlage und weiterer Gebäude, Tunnels und Medienkanäle des Flughafens. Das beinhaltet nicht in Sachen Bauarbeiten zahlreiche Knacknüsse, sondern auch in Sachen Sicherheit. So befinden sich unterhalb beziehungsweise neben der neu zu errichtenden GSA nicht nur die alte Anlage, die weiter in Betrieb ist, sondern auch Räume, die für die Bauarbeiten nicht zugänglich sind und im sicherheitskontrollierten Bereich des Flughafens Zürich liegen.
Spundwände, Spriessen und Jetting
Angrenzend zur Baugrube befinden sich sehr sensible Infrastrukturbauwerke, die für den Flughafenbetrieb von sehr hoher Bedeutung sind. Entsprechend sorgfältig musste die Baugrube geplant und vorsichtig erstellt werden. Die Baugrube wurde im grossen Teil mit rückverankerten Spundwänden gesichert. Für die Medienkanäle wurde innerhalb der Hauptbaugrube eine weitere tiefe Baugrube erstellt. Diese wurde ebenfalls mit Spundwänden und Spriessen gesichert.
«Die zahlreichen Anker mussten sorgfältig und genau erstellt werden», erklärt Prasath Saravanabavan, Projektleiter bei der Jägerpartner Ingenieure AG. «In Teilbereichen wo wegen bestehenden unterirdischen Bauwerken keine Spundwände erstellt werden konnten, musste ein Jetting-Schirm erstellt werden, erst danach konnte der Grundwasserspiegel in der Baugrube abgesenkt werden.» Unmittelbar neben der Baugrube steht zudem die Vorfahrtenbrücke, über welche die abfliegenden Passagiere zum Flughafen gelangen. «Damit wir allfällige Setzungen infolge der Baugrube ausgleichen konnten, mussten wir die Brückenpfeiler erst schneiden und dann mit einem Stahlgerüst abstützen, mit dem wir nach Bedarf die Setzungen mit Pressen kompensierten.» Für die Abtragung von hohen Punktlasten mussten grosskalibrige Bohrpfähle erstellt werden.
Komplexe Planung mittels BIM
Diese hoch komplexen Arbeiten werden mittels Building Information Modeling (BIM) geplant und ausgeführt. Die Jägerpartner Ingenieure AG ist für die Planung des Tragwerks und die Baugrube zuständig.
Zur neuen GSA gehört ein stark vergrösserter Frühgepäckspeicher. Hierfür wurde das Gebäude mit der bestehenden GSA aufgestockt. Man musste deshalb den Altbau mit dem Neubau durch Stahlkränze verbinden. «Zudem wurde in Teilbereichen die bestehende Decke statisch ertüchtigt. Alle Arbeiten innerhalb der GSA mussten nachts stattfinden, da sie sonst den laufenden Betrieb behindert hätten.»
Ohne Stützen
Der neue Frühgepäckspeicher besteht aus zwei Ebenen mit einer Gesamthöhe von rund zehn Metern, worin im Endausbau 2500 Gepäckstücke Platz finden. Zugleich muss er statisch so ausgelegt werden, dass er später einmal aufgestockt werden kann. «Wir brauchten eine leichte und rasch montierbare Konstruktion, mit der wir stützenfrei grosse Spannweiten von bis zu zwölf Metern überbrücken können. Mit einer Massivbauweise hätten wir eine grosse Deckenstärke mit grossem Eigengewicht benötigt. So wäre eine spätere Aufstockung aber nicht möglich gewesen.»
Man entschied sich deshalb für das Deckensystem «DELTABEAM®» von Peikko. Deren Projektverantwortlicher Besnik Beshiri erklärt: «Das Slim-Floor-Deckensystem ermöglicht grosse Spannweiten und leichte, aber sehr tragfähige Decken, die auf der Baustelle rasch montiert werden können. Die Herstellungszeit wird mit diesem System erheblich reduziert.»
Speziell gefertigte Verbundträger
Die DELTABEAM® Verbundträger werden für jedes Projekt nach Mass gefertigt. Je nach statischem System und aufzunehmenden Lasten variieren nicht nur die Länge und Breite, sondern auch die Untergurtstärken und Stegstärken. Auf der Baustelle werden die Träger am Ort eingesetzt, verschraubt und anschliessend die Deckenelemente auf die Verbundträger montiert. Danach werden die Fugen und Träger mit Beton ausgegossen. Nur Elemente wie Pfeiler und Anschlüsse werden noch auf herkömmliche Weise geschalt, bewehrt und dann mit Beton ausgegossen. Dank diesem hohen Grad an Vorfertigung ist es möglich, den engen Zeitplan für den Hochbau einzuhalten.
Das Deckensystem wird gemäss Beshiri in Skandinavien sehr häufig eingesetzt. «Dort arbeitet man auf der Baustelle kaum noch mit Schalungen und Ortbeton.» Neben der Kombination mit Beton lassen sich die Träger auch mit Holz verbinden. Neben der erwähnten grossen Stützenweiten verspricht das System auch eine gegenüber der Massivbauweise um 50 Prozent leichtere Konstruktion.
In der Schweiz wird das System auch in Industriebauten, Bürogebäuden, Spitälern und im mehrgeschossigen Wohnungsbau immer häufiger eingesetzt. Vor zwei Jahren wurde mit DELTABEAM® das neue Logistikzentrum des Transportunternehmens Welti-Furrer in Dielsdorf ZH errichtet, die mit einer Fläche von 30000 Quadratmetern grösste vollautomatische Containerhalle der Schweiz.
Arbeiten im Zeitplan
Dank BIM und einem hohen Grad an Vorfertigung liegen die Bauarbeiten im Zeitplan, trotz der atemberaubenden Komplexität der Aufgabe. Ab Frühjahr werden im Frühgepäckspeicher die GSA-Installationen eingebaut. Dazu gehört auch die Verbindung der bestehenden GSA mit dem neuen Frühgepäckspeicher durch die neu erstellten grossen Deckendurchbrüche.
Der Fluggast merkt von all dem aber nichts: Sein Gepäck wird auch in der Übergangsphase rasch und zuverlässig zum Flugzeug transportiert. Abgeschlossen sind die flughafenweiten Erweiterungsarbeiten der GSA mit der letzte Etappe im Dock E. Bauende ist nach Plan im Jahr 2025.
23 Kilometer Förderbänder
Die Gepäcksortieranlage des Flughafens Zürich sorgt im Untergrund dafür, dass alle Koffer und Taschen rechtzeitig ins richtige Flugzeug transportiert werden. Daneben durchläuft jedes Stück die erforderlichen Sicherheitskontrollen und wird von einem Röntgengerät durchleuchtet.
Die Anlage, die riesige 65000 Quadrat-meter misst, besteht aus einem 23 Kilometer langen System von Förderbändern und einem Behältertransportsystem. Trotzdem ist ein Koffer auf der längsten möglichen Strecke vom Check-in 3 bis zum Dock E gerade mal 18 Minuten unterwegs.
4500 Motoren halten die Förderbänder und Sortieranlagen am Laufen, 4600 Sensoren sorgen für einen reibungslosen Ablauf: Weniger als ein Prozent der Gepäckstücke erreichen den geplanten Flug nicht – davon in 99 Prozent der Fälle nicht wegen der GSA, sondern wegen zu knapper Umsteigezeit, weil der Flieger verspätet ist.
Pro Jahr sortiert die Anlage gegen zwölf Millionen Gepäckstücke, in Spitzenzeiten über 50000 Stück pro Tag.